Alandriel
Michael: Warum bist Du Künstlerin geworden?
Alandriel: Das wüsste ich auch gerne. Offen gesagt, ist das nichts, was ich mir irgendwann überlegt habe. Entweder hast Du das Bedürfnis, Dich künstlerisch mitzuteilen bzw. auszuleben oder eben nicht. Man hat nicht wirklich eine Wahl.
Michael: Und wann war es für Dich klar, dass Du Künstler werden möchtest?
Alandriel: Ich bin da sukzessive hineingewachsen und davon vereinnahmt worden.
Michael: Wo findest Du die Motive für Deine Arbeiten?
Alandriel: Überall. Im Grunde kann mich alles inspirieren. Das hängt dann auch zum Teil von meiner Tagesstimmung oder dem Ort ab, an dem ich gerade bin. Ich spiegele auch vieles von dem, was und vor allem wer mir im Alltag begegnet. Vieles spielt sich zunächst in meinem Kopf ab. Das muss dann in Form von Zeichnungen, Collagen und Fotos oder auch Geschichten eben raus. Das funktioniert in etwa so wie Professor Dumbledores Denkarium, falls Du weißt, was ich damit meine. Sprich, wenn der Kopf zu voll ist, muss die Kunst als Ventil her. Damit wieder Platz ist für Neues.
Michael: Wie kommst Du zu Deinen Motiven?
Alandriel: Ich träume sehr viel. Manche Bilder entstehen in meinen Träumen. Beim Aufwachen sind sie dann fertig in meinem Kopf vorhanden und müssen lediglich noch visualisiert werden. Manche Bilder sind Wunschvorstellungen, also Tagträumereien und Sehnsüchte. Ich glaube sowieso, dass viele Künstler sich von ihrem Idealbild oder von ihren Obsessionen leiten lassen. Vor Jahren war ich noch sehr viel häufiger in der Natur unterwegs, was mir stets eine gute Quelle ist, Motive und Worte zu finden, beispielsweise beim Spazierengehen, Wandern oder Reiten. In Bewegung fließt auch der Geist besser, und der Körper entspannt sich gleichzeitig.
Michael: Kann ich gut nachvollziehen - manchmal wirken Deine Bilder auch sehr poetisch und lustig auf mich.
Alandriel: Da sprichst Du wahrscheinlich auf meine Fotocollagen an. Tatsächlich wirken diese Bilder auf den ersten Blick ein wenig lustig oder vielmehr komisch. Sie zeigen Gewohntes oder Alltägliches in ungewohntem Zusammenhang. Das ist dann der Störfaktor darin. Dadurch versuche ich, den Betrachter zum genaueren Hinschauen zu bewegen, damit er die Unstimmigkeiten auch in seinem Alltag und in seinem Umfeld entdeckt. Meine Fotocollagen haben stets einen umweltpolitischen Hintergrund, der sich nicht immer auf den ersten Blick offenbart.
Michael: Der Realismus war immer ein wichtiges Element innerhalb der Kunst. Deine Bilder erscheinen oft wie eine „überschärfte Realität“. Warum liebst du so den Foto- bzw. Hyperrealismus?
Alandriel: Der Fotorealismus fasziniert mich schon seit Kindertagen. Irgendwann, ich war noch sehr jung, habe ich solche beeindruckenden Werke amerikanischer und kanadischer Künstler in einer Zeitschrift gesehen. Von diesem Zeitpunkt an stand für mich fest: so will ich auch malen können. Auf der Vernissage zu meiner letzten Ausstellung wurde ich mehrfach gefragt, weshalb ich den Aufwand betreibe, Bilder zu zeichnen, die wie Fotos anmuten. Nun, zum einen, weil Zeichnungen manches besser veranschaulichen als jedes Foto das könnte (vielleicht ist das mit der heutigen Technik anders). Außerdem wollte ein Teil von mir einfach sehen, ob ich es kann.
Michael: Ein weiterer Schwerpunkt deiner Arbeit ist die Porträtmalerei. Was fasziniert Dich daran?
Alandriel: Das Porträtzeichnen von Mensch und Tier fasziniert mich seit Jahren stets aufs Neue. Um gute Porträts zu zeichnen, muss ich mir mein Modell zunächst genau anschauen, etwas über den Charakter und die Persönlichkeit herausfinden. Ein Gesicht spiegelt die Persönlichkeit wie ein offenes Buch. Im Idealfall stellt das auch die Zeichnung heraus. Es kommt mir außerdem darauf an, die höchstmögliche Ähnlichkeit, die Wiedererkennbarkeit zu treffen. Ich kann mich im Anblick schöner Menschen und Tiere regelrecht verlieren und vertiefe mich mit Passion darin, sie zu studieren und zu zeichnen. Eine Zeichnung ist eine fast schon intime Beschäftigung mit dem Gegenüber. Man kommt seinem Modell sehr nahe, sieht Details, die manchen nicht auffallen.
Michael: Hast du dafür ein Beispiel, natürlich nur ohne Persönlichkeitsrechte zu verletzen?
Alandriel: Meine beiden Lieblingsmodelle zeichne ich schon seit mehreren Jahren. Nicht nur, weil sie optisch ausgesprochen attraktive Menschen sind, sondern weil mir auch ihre Persönlichkeit gefällt. Ich erkenne in einem Gesicht durch dessen Physiognomie die Wesensmerkmale, die ich als schön empfinde. Eine Person über Jahre immer wieder zu porträtieren ist faszinierend. weil man miterlebt, wie die Person sich optisch verändert und auch, wie sich Persönlichkeit und Charakter entwickeln.
Michael: Und gab es irgendwann einen Punkt, an dem Du gemerkt hast, jetzt verändert sich etwas, ein Stilwechsel muss her?
Alandriel: Solche Stationen gibt es immer wieder. Ich will damit nicht sagen, dass es jedesmal Wendepunkte in meinem künstlerischen Ausdruck oder in der Wahl meiner Techniken und Medien sind. Eines meiner bevorzugten Medien sind Farbstifte. Damit zeichne und experimentiere ich schon seit mehr als dreißig Jahren. Besonders intensiv habe ich das während meines Studiums gemacht. Und noch einmal, als ich vor drei Jahren begann, alles für mein Buch zusammenzutragen (Daniela Schnabel, Zeichnen und Malen mit Farbstiften, erschienen 2017 im Artisto Verlag). Dafür habe ich gründlich experimentiert und verglichen. Anschließend konnte ich den Unterschied zwischen aktuellen realistischen Zeichnungen im Vergleich zu solchen vor zwanzig Jahren deutlich sehen. Über die Jahre habe ich meine Technik also stetig verändert und allmählich perfektioniert. Mittlerweile bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich wieder etwas von diesem Hyperrealismus abkomme, weil ich diesen Grad des Ausdrucks für mich gemeistert habe. Daneben erstelle ich meine Fotocollagen aus Fundstücken und eigenen Fotografien. Diese entstehen weniger geplant als vielmehr basierend auf dem günstigen Zufall. Seit ich in den frühen 90ern erstmals damit für eine Plakatserie zum Thema Umweltschutz experimentierte, bin ich der Technik verbunden. Die handwerkliche Schnitt- und Retuschiertechnik habe ich im Laufe der Jahre trotz der computertechnischen Fortschritte bewusst nie verändert. Ich empfinde es als eine Art Markenzeichen, weshalb ich diesbezüglich keine Änderung im Stil wünsche.
Michael: Gibt es ein Kunstwerk in deinem Leben, das dich besonders beeindruckt hat?
Alandriel: Als Kind sah ich in einer Zeitschrift Werke des kanadischen Tier- und Naturmalers Robert Bateman. Er ist nach wie vor eines meiner Vorbilder in Sachen Kunst. Er trug maßgeblich dazu bei, dass ich heute so male. Er entzündete den Funken, der schon damals in mir glomm. Daneben gibt es etliche weitere bildende und darstellende Künstler, deren Arbeiten mich geprägt haben, und die mich stark inspirieren. Es fällt mir schwer, das auf wenige einzugrenzen. Von ihrem Ausdruck und der Motivwahl muss ich allerdings noch die Werke von Linda Garland nennen.
Michael: Würdest Du sagen, dass Kunst der Gesellschaft etwas bringt?
Alandriel: Ja natürlich. Kunst spiegelt immer auch die Gesellschaft, die Kultur und den Zeitgeist wider. Sie zeigt Verbindungen, aber auch Missstände. Sie kann helfen, sich selbst und seine Umwelt besser zu verstehen, sie macht Problematisches deutlich, aber vermag mitunter auch Lösungen und Optionen anzubieten.
Michael: Du hast mehrfach das Thema Umweltschutz angesprochen – das scheint ein Herzensanliegen von Dir zu sein. Inwiefern beeinflusst das Thema deine Arbeit?
Alandriel: Sehr. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, kann sich dem Thema gar nicht verschließen. Klimaerwärmung, Umwelt- und Artenschutz, Ressourcenverknappung, Vermüllung der Meere und so fort ... das geht uns alle an.
Michael: Bist Du manchmal unsicher in Deiner Kunst?
Alandriel: Ich mache Kunst in erster Linie, weil ich das als eines meiner grundlegenden Bedürfnisse ansehe. Da besteht für mich keine Unsicherheit, ob das, was ich mache seine Berechtigung hat. Bekäme ich allerdings keinerlei Feedback über meine Kunst, würde ich mir schon überlegen, wofür ich das alles mache, also ob das alles Sinn macht. Denn auch Selbstausdruck will ja gesehen und anerkannt werden. Alles andere ist der stille Tod des Künstlers. Ich denke mal, jeder Künstler kommt irgendwann einmal an den Punkt, an dem er überlegt, ob seine Kunst die gewünschte Botschaft genügend transportiert.
Michael: Welche Zwänge, Trends und Klischees fallen Dir spontan ein, die die momentane Kunstwelt beherrschen?
Alandriel: Derzeit herrscht im Zuge von „Me Too“ eine heftige Debatte darüber, ob man jene moralischer Vergehen oder des Machtmissbrauchs beschuldigter Künstler aus der Kunstwelt ausschließen, ja ausradieren soll. Wurden früher noch Künstler gefeiert oder toleriert, die teilweise sogar Verbrecher oder Mörder waren, so werden heutzutage Kunstwerke aller Sparten boykottiert, verändert und sogar vernichtet, wenn moralische Vergehen oder Machtmissbrauch offenkundig werden. Selbst sich davon nicht zu distanzieren kann für den Künstler zum gesellschaftlichen Boykott führen. Es geht darum, wie weit die Freiheit der Kunst bzw. der Künstler heutzutage noch gehen darf. Unser Blick auf die Werke der Kunst verändert sich in zunehmendem Maße mit der öffentlichen Wirkung der Künstler. Nach wie vor wird in der bildenden und darstellenden Kunst viel Blut vergossen und moralisch Verwerfliches gezeigt. Allerdings darf nicht der Künstler das Monster sein.
Michael: An welchem Werk sitzt Du gerade – und warum machst Du es?
Alandriel: Am liebsten zeichne ich Tiere – und Männer. Seit einigen Jahren habe ich zwei Lieblingsmodelle, die ich derzeit in verschiedenen Werken umsetze. Ich gebe zu, dass ich auch eine Schwäche für Heroisches, Superhelden und Fantasy habe, wofür ich dann meine Modelle einsetze. Ebenso bin ich ein absoluter Gefühlsmensch, der seine Mitmenschen und seine Umwelt intensiv beobachtet und intuitiv erforscht. Ich denke vorwiegend in Bildern und träume lyrisch und habe immer eine gewisse Sehnsucht nach dem, was hinter der nächsten Ecke liegt. Das alles setze ich in meiner Kunst um, das treibt mich an. Ich hoffe, dass meine Kunst die Menschen anrührt, ihnen nicht nur die Probleme der Welt, sondern auch deren enorme Schönheit aufzeigt.
Michael: Vielen Dank für deine Offenheit, und das wir ein wenig teilhaben konnten an deiner Erklär- und Kunstwelt.
Interview mit Daniela Schnabel (Alandriel) vom 24.02.2018.
Das Gespräch führte Michael Klotzki